Skip to main content

Ich spüre etwas, das Du nicht siehst…

In Deutschland erleiden jährlich etwa eine Viertel Million Menschen eine Hirnschädigung. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Schlaganfälle, Schädel-Hirn-Traumata, Herzstillstände sind nur einige der möglichen Ursachen.
Neben körperlichen Behinderungen, welche ja oftmals sichtbar sind, treten bei einer Vielzahl der Betroffenen aber auch Einschränkungen auf, die nicht sichtbar sind. Diese werden häufig vom Umfeld nicht wahrgenommen. Und auch die Betroffenen selbst versuchen nicht selten, wieder in ihr „normales“ Leben vor der Schädigung zurückzukehren und in gewohnten Bahnen weiterzulaufen. Hierbei stoßen sie aber früher oder später an ihre Grenzen.

Was können das für „unsichtbare“ Einschränkungen sein, die auftreten können?
Es gibt eine große Anzahl und auch eine große Vielfalt an Symptomen und Störungsbildern. Dies hängt mit der Lokalisation der Schädigung, aber auch mit den Ressourcen und Fähigkeiten der jeweiligen Betroffenen zusammen. Jeder Mensch ist anders. Auch hier.

Zu den häufigsten Einschränkungen nach einer Hirnschädigung zählen Aufmerksamkeitsstörungen. Das bedeutet im weitesten Sinne, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann. Das kann von einer reduzierten Aufmerksamkeitsspanne, über eine erhöhte Ablenkbarkeit bis zu einer Einschränkung der Daueraufmerksamkeit gehen. Die Aufmerksamkeit ist nun aber auch die Grundlage vieler anderer, komplexerer Leistungen unseres Gehirns. So ist es leicht nachzuvollziehen, dass Personen mit einer Aufmerksamkeitsstörung oft auch unter Einschränkungen in weiteren Bereichen leiden.

Weitere unsichtbare Beeinträchtigungen können Gedächtnisstörungen sein. Auch hier können wieder ganz unterschiedliche Bereiche des Gedächtnisses betroffen sein. Es kann zu Abrufstörungen kommen, oder ich kann mir Dinge nicht mehr einprägen, oder ich vergesse Namen, erkenne Personen oder Gesichter nicht wieder. Manche Patienten vergessen sogar Teile ihrer Vergangenheit oder erkennen vertraute Personen nicht wieder.

Hier könnte auch eine Erkennstörung eine Ursache sein. Es gibt eine Vielfalt an visuellen Störungen, die nicht mit dem Auge, sondern mit dem Gehirn zusammenhängen. Patienten mit Erkennstörungen sind im Alltag schwer behindert. Man stelle sich vor, wie es sein mag, wenn ich nicht in der Lage bin, Gesichter zu erkennen, weil ich nur Einzelheiten, also z.B. Augen oder die Nase oder den Mund wahrnehme, nicht aber das ganze Gesicht.

 

Auch Persönlichkeitsveränderungen können auftreten

Die Betroffenen können zurückgezogener wirken oder sind vielleicht auch aggressiver, aufbrausender. Das kann mit der Hirnschädigung zusammenhängen, kann aber auch eine Reaktion sein, da andere Bereiche nicht mehr so gut funktionieren, was dann zu Frustrationen führen kann.

Es ist nachvollziehbar, dass auch die Stimmungslage nach einer Hirnschädigung leidet. Aber dies muss nicht nur eine Reaktion auf die Hirnschädigung sein, sondern es kann ursächlich auch direkt mit der Hirnschädigung zusammenhängen. Die veränderte Stimmungslage ist dann „organisch bedingt“.

Diese Einschränkungen seien jetzt nur beispielhaft aufgeführt. Es gibt eine Vielzahl weiterer Beeinträchtigungen, die nicht sichtbar sind, im Alltag des Betroffenen und auch seiner Angehörigen aber einen massiven Einfluss haben.

Wie oben schon erwähnt, fällt es manchen Betroffenen schwer, die eigenen Einschränkungen anzunehmen und anzuerkennen. Dies kann ebenfalls eine organische Ursache haben, also direkt mit der Schädigung zusammenhängen. Es kann aber auch eine Reaktion sein. Ich möchte einfach nur, dass alles wieder so ist wie früher. Die Betroffenen versuchen nicht selten, ihr altes Leben weiterzuführen, trotz ihrer Einschränkungen. Das kann eine Zeit lang gut gehen, kostet aber mehr Anstrengung und braucht einen erhöhten Zeitaufwand. Irgendwann bricht das System dann aber zusammen. Die zur Verfügung stehenden Fähigkeiten und Funktionen reichen nicht mehr aus. So gibt es Patienten, die es auch nach einer Hirnschädigung noch schaffen, eine Berufsausbildung oder ein Studium abzuschließen. Da sie ab mittags aufgrund einer eingeschränkten Daueraufmerksamkeit aber nicht mehr leistungsfähig sind, stellen sie sich vielleicht den Wecker auf 3 Uhr morgens und lernen dann. Man kann sich vorstellen, dass das nur eine gewisse Zeit funktioniert. Und man kann sich ebenfalls gut vorstellen, dass das Auswirkungen auf den Rest des Lebens hat. Für Freizeit bleibt dann keine Kraft mehr. Im Kontakt mit anderen sind die Betroffenen dann vielleicht auch sehr gereizt, weil sie einfach kaputt und unzufrieden sind.

Da die Einschränkungen nicht sichtbar sind wie z.B. ein Gips oder ein hinkendes Gangbild, wird die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten oftmals auch überschätzt. Den Betroffenen wird dann mitunter vorgeworfen, sie seien faul oder unmotiviert. So kommt es zu einer permanenten Überforderung. Und natürlich möchte man ja wieder so sein wie früher und bemüht sich. Keiner gibt ja auch gerne eine Schwäche in dem Bereich zu. Wenn ein Muskel nicht funktioniert ist es leichter zu sagen, ich kann nicht mehr so schnell laufen. Zu sagen „Ich kann mich nicht mehr gut konzentrieren.“ oder „Ich kann mir das, was Du sagst, nicht gut merken.“, fällt deutlich schwerer.

 

Oft fälschlicherweise jahrelang wegen Depressionen behandelt

Viele Patienten werden sogar oft fälschlicherweise jahrelang wegen Depressionen behandelt, da sich die Symptome manchmal auch sehr ähneln. Hier sind die kognitiven Einschränkungen oftmals gar nicht bekannt, da eine Untersuchung in der Akut-Behandlung fehlte und die Beeinträchtigungen vielleicht auch übersehen wurden. Wie oben schon erwähnt, strengt der Patient sich ja auch häufig besonders an, wieder so zu funktionieren, als sei alles in Ordnung.

Klinische Neuropsychologen können helfen. Essentiell ist eine differenzierte neuropsychologische Diagnostik möglicher Einschränkungen. Dem folgen Aufklärungsgespräche, in denen über die Beeinträchtigungen ausführlich informiert wird. Idealerweise werden die Angehörigen in solche Gespräche eingebunden.
Was folgt ist eine ausführliche Therapieplanung. In der Neuropsychologie gibt es zahlreiche Methoden, von Trainingsmethoden über Kompensationsstrategien usw. Nicht selten steht am Anfang ein Erarbeiten der Krankheitseinsicht. Hier geht es dann eben auch um das Anerkennen der Leistungsgrenzen und das Einhalten notwendiger Pausen. Gemeinsam mit dem Patienten und den Angehörigen werden neue Lebens-/Alltagsstrukturen erarbeitet und trainiert. Verhaltensänderungen fallen jedem schwer. Und so etwas benötigt Zeit, bis es ausreichend verinnerlicht ist. Man kann sich gut vorstellen, dass natürlich auch Aufmerksamkeits- und/oder Gedächtnisdefizite in so einer Therapie mitbedacht werden müssen.
Sollte eine Rückkehr in das Erwerbsleben angestrebt werden, können hier im Idealfall Neuropsychologen helfen, um den Arbeitsplatz ggf. anzupassen oder sich die Strukturen anzuschauen, um mögliche kritische Situation zu identifizieren und zu bearbeiten.

Es ist in dem Bereich der neuropsychologischen Störungen – dieser eben oft unsichtbaren Störungen- noch viel Aufklärungsarbeit notwendig, um die Akzeptanz sowohl bei den Betroffenen als auch in ihrem Umfeld, angefangen bei den direkten Angehörigen bis hin zum Arbeitgeber, zu erhöhen.
Zudem sind Strukturen wünschenswert, die eine Teilhabe auch mit solchen unsichtbaren Einschränkungen erlauben, ohne den Betroffenen noch mehr ins Abseits zu stellen oder ihn zu überfordern. Hier gilt es eben auch, Patienten, die ihre eigenen Einschränkungen nicht wahrnehmen, zu schützen.
Diese sind oft selbst nicht in der Lage, entsprechende Hilfe zu suchen, oder Kämpfe mit den Kostenträgern auszufechten. Ohne aufgeklärte und engagierte Personen im engeren Umfeld bleiben die Bedürfnisse dieser Patienten auf der Strecke.

Eure Franka